Ein lauwarmer Luftzug weht durch das zweite Untergeschoss des Hochhaus Werd.
Das Asselmädchen Lody schlurft über den Betonboden, schaut nachdenklich
in das Dunkel der nur spärlich beleuchteten Parkgarage. Eigentlich sollte
sich Lody freuen, denn gestern erlebte sie und viele andere junge Asseln den
letzten Tag der Schule. Aber das Mädchen scheint etwas verwirrt zu sein.
"He, Lody! Kommst Du auch mit? Wir wollen ins vierte Untergeschoss zum
Schnell-Roll-Wettbewerb gehen", ruft ein grosser Asseljunge hinter einer
Säule hervor.
"Bräkke?", murmelt Lody und bleibt stehen.
"Was hast Du denn da in der Hand? Eine Papierrolle?", fragt Xubo hastig,
der kleine Bruder von Bräkke.
Lody schweigt einen Moment. Durch die fast leere Parkgarage ist in dieser Nacht nur ein entferntes Tropfen von einem undichten Wasserhahn zu hören. Und das zeitweise Brummen der Klimaanlage. Bräkke und Xubo schauen Lody an, die das Papier auf dem Boden aufrollt. "Dieses Papier habe ich gestern abend in der Wohnung von meinem Grossvater gefunden. Ihr wisst ja, dass er vor zwei Wochen gestorben ist...", erklärt Lody und schaut wieder in die Weite der Garage. Sie erinnert sich an die schönen Abende bei Grossvater, wenn sie auf Besuch kam. Wie der Asselmann mit dem weissen Schnauz Geschichten erzählen konnte, die Lody nie ganz glaubte. Und wie er ihr eines Tages den Schlüssel zu einer grossen Holztruhe gegeben hat, da sie die einzige der Familie sei, die den Inhalt verstehen könne. Sie dürfe diese Truhe erst öffnen, wenn er eines Tages nicht mehr hier sei. Da musste Lody weinen und schluchzte, dass er doch ewig leben würde.
"In einer versteckten Holztruhe hat mir mein Grossvater dieses geheimnisvolle Papier hinterlassen. Nach der Abschlussprüfung in der Schule habe ich jetzt endlich Zeit, es zu studieren. Aber noch werde ich nicht schlau aus all den Linien und Zahlen", spricht Lody zu den Brüdern. Bräkke und Xubo betrachten dass Wirrwarr von allen Seiten und haben auch keinen Tipp. Xubo tippt Lody auf die Schulter und sagt nur: "Pösqu". "Fantastisch, kleiner Bruder. Das ist es. Wenn einer uns helfen kann, dann ist es Pösqu, der Mechaniker. Gehen wir gleich zu ihm, der wird sich zu Hause von der Schule erholen", ruft der starke Bräkke durch die hallende Garage.
Bräkke schnappt sich Xubo, drückt ihn etwas an seinen Bauch. Dann rollt sich die grosse Assel zu einer Kugel zusammen und rollt mit irrsinniger Geschwindigkeit davon. Gleich dahinter rollt Lody ebenfalls in Richtung einer dunkelbraunen Türe.
"Hallo, Pösqu!", brüllt Bräkke vor ein paar kleinen
Kartons und Steinen. Nach einer Weile raschelt es aus dem Labyrinth. Mit einer
Zange in der Hand kriecht der dünne Pösqu aus seiner Wohnung und wundert
sich: "Wer will denn jetzt schon wieder was von mir? Kaum ist diese Assel-Schule
endlich fertig, will ich doch mal meine Ruhe geniessen!" Bräkke beruhigt
seinen Freund und erzählt ihm Geschwind von Lody und dem Papier. Pösqu
schnauft ein bisschen, schaut Lody kritisch von oben bis unten an und blickt
dann auf das Papier. Er schaut sich die Zeichnungen von allen Seiten an, dann
wieder die Garage und nochmal das Papier. "Es ist ein Plan", sagt
Pösqu schliesslich.
"Was ist ein Plan?", fragt Xubo aufgeregt.
"Auf einem Plan sehen wir, wo wir überall hinlaufen können. Was
sich dort hinter den Türen der Garage befindet. Damit verirren wir uns
nicht", antwortet Lody.
Pösqu meint: "Das ist ein Plan der Klimaanlage hier. Mit allen Röhren
und Verbindungen. Seltsamerweise sind die Luftströme angegeben, also wo
und wie die Luft durch die Röhren weht." Dann zeigt Pösqu den
drei staunenden Asseln eine angekreuzte Stelle, die er für eine Art Eingang
hält. Und ganz woanders auf dem Plan eine andere Stelle, die vielleicht
auf ein Versteck zeigt.
"Ein Versteck?", schluckt Lody.
"Ein Geheimnis?", ruft Bräkke.
"Ist das gefährlich?", zittert Xubo.
"He, was macht ihr denn da alle? Das Schnell-Rollen ist schon vorbei",
zischt plötzlich eine Stimme durch die Garage und die Asseln fahren zusammen
vor Angst.
"Ach, Zitca. Du hast uns einen mächtigen Schrecken eingejagt. Wir
haben etwas angeschaut und Dich nicht heranrollen gehört", keucht
Lody und lächelt zur schnellsten Assel weit und breit.
Die fünf Asseln hocken sich hin und betrachten den geheimnisvollen Plan.
Pösqu untersucht jede Stelle genau und vergleicht sie mit den Röhren
an der Decke und an den Wänden. Stück um Stück sehen sie, wie
alles zusammen passt. Pösqu macht plötzlich grosse Augen und sagt:
"Jetzt haltet ihr mich für verrückt... aber ich glaube, dass
der Hinweis auf ein Versteck oder so..., dass dieses Versteck auf dem Dach des
Hochhauses ist. Der Ort, wo noch nie eine Assel war, weil wir ja immer in den
dunklen und feuchten Garagen und Keller hier gewohnt haben."
Xubo schauderte und sein Bruder Bräkke hielt ihn fest. Lody stotterte: "Das Dach? Bedeutet das, dass mein Grossvater früher verbotene Reisen machte?" "Was heisst verboten? Es hat sich einfach nie eine Assel aus dem Keller herausgewagt. Schon wegen dem hellen Sonnenlicht und der Gefahr auszutrocknen. Wer weiss, ob es da oben Wasser gibt", meinte Zitca. Die fünf Asseln schauten sich eine Weile an, ohne zu sprechen. Lody erzählte den anderen, dass ihr Grossvater einmal sagte, nur sie wüsste, was mit diesem Plan zu tun sei. Vielleicht weil Lody in ihrer Klasse immer die klügste war? Die Asseln rätselten weiter, bis Xubo gähnte: "Bin müde vom Abenteuer." "Das ist es! Dein Grossvater fordert uns zu einem Abenteuer heraus, das ist eine Aufgabe!", jubelt Bräkke. Zitca nickte, Pösqu nickte auch und Lody murmelte wieder: "Stimmt. Es stimmt. Mein Grossvater hat mir eine Aufgabe hinterlassen. Ich muss es herausfinden." "Was heisst Du? Wir begleiten Dich doch! Nur so kann es gelingen, ausserdem müssen wir nie mehr in die Schule. Ich hätte sowieso nicht gewusst, was ich in diesen grossen Ferien bis zur ersten Arbeit gemacht hätte", brüllt Pösqu mit Begeisterung.
Die Asseln tuscheln noch eine ganze Weile, schauen sich immer wieder nervös um, ob nicht jemand zuhört. Das Abenteuer soll geheim bleiben. Sie wollen es allen anderen zeigen, wie mutig sie sind. Dann gehen alle in eine andere Richtung und Xubo ruft noch durch die Dunkelheit: "Nicht vergessen! Wir sind die rASSELbande. Morgen beginnt unser grosses Abenteuer, hihi!"
Am nächsten Morgen, im ersten Untergeschoss bei einem grossen Lüftungsrohr.
Die schnelle Zitca ist zuerst am Treffpunkt. Die fünf Asseln begrüssen
sich mit dem Erkennungszeichen "rASS... rASSEL... rASSELbande!" "Gut,
dass wir von den Menschen gelernt haben, die Uhrzeit zu lesen. Wir hätten
uns sonst nie pünktlich hier getroffen", murmelt Lody schon wieder
und rollt das Papier auf. "Pünktlich? Na, ja ich weiss nicht. Ich
musste einige Minuten auf Euch warten", lästert Zitca und lächelt
die anderen an. Pösqu winkt ab und fordert die anderen auf, in die Röhre
zu klettern. "Gemäss dem Plan müssen wir genau dort hinten stehen,
wie sich zwei Röhren kreuzen... hmmm, das ist wirklich komisch. Dein Grossvater
war vielleicht ein ganz gescheiter Typ, denn...", sprach Pösqu noch,
bevor ein starker Luftzug die fünf Asseln erfasst und mit sich reisst.
Mit unglaublicher Geschwindigkeit fliegen die Asseln mit ihren umgehängten
Taschen durch das Zickzack der Röhren, immer wilder hin und her. Bräkke
kann gerade noch seinen Bruder festhalten und seine Brille anziehen. Nur Zitca
freut sich mit lautem Gelächter über diese Sausefahrt, die eine Ewigkeit
zu dauern scheint. Plötzlich fliegen sie aus der Röhre hinaus in ein
helles Licht, sie können gar nichts mehr sehen. Die Asseln brausen in einem
Bogen nach unten, landen zwischen Kieselsteinen und rollen in verschiedene Richtungen
, bis sie sich stoppen können. Mit leichten Schmerzen stehen sie auf und
flüstern mutig: "rASS... rASSEL... rASSELbande!"
Pösqu schüttelt den Kopf, schaut mit gekniffenen Augen auf den Plan. "Wir sind auf dem Dach, Freunde. An einem Ort, von wo noch nie eine Assel zurückgekehrt ist. Das nenne ich Abenteuer. Wir dort hinüber, zu dieser Türe. Der Grossvater von Lody hat entdeckt, wie man durch die Luftröhren reisen kann, unglaublich und wie schon gesagt - ziemlich gescheit", erklärt Pösqu. Wieder zittern die Asseln etwas und laufen langsam in die abgemachte Richtung. Ihre Augen gewöhnen sich nur langsam an das helle Licht.
In diesem Moment fliegt ein Schatten aus der Röhre, klatscht ebenfalls auf den Hochhaus-Dachboden mit lauter Kieselsteinen. Mit einem unheimlichen Grunzen, krabbelt die Gestalt rasch hinter eine Eisenstange. In diesem Moment dreht sich Xubo um, glaubt etwas zu hören. Aber die anderen Asseln beruhigen ihn, sie seien hier weit und breit die einzigen Lebewesen. Sie schlüpfen unter der Türe durch und Bräkke sagt ernst: "Freunde. Diese Treppe müssen wir runter, dort unten irgendwo ist die Stelle auf dem Plan. Ein Geheimnis, ein Versteck, wir wissen es nicht. Ich wünsche uns Glück und gut rASSELbande!" Alle halten ihre vielen Hände in die Höhe, nicken mit den Köpfen und springen mutig in ihr Abenteuer. Lody denkt kurz an ihren Grossvater und springt auch die eiserne Treppe hinab.